Medikamenten-Rückstände im Wasser

Der Spiegel Online, vom 14,02,2013

 

Psychopharmaka im Flusswasser: Forsche Barsche

Aus Boston berichtet Philip Bethge

Psychopharmaka im Wasser: Forsche Barsche

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Bent Christensen

Rückstände gängiger Psychopharmaka geraten über Abwässer in Flüsse, Seen und Teiche. Dort verändern sie das Verhalten von Fischen. Sie agieren aktiver und mutiger. Die ökologischen Folgen könnten dramatisch sein.

Beruhigungs- und Schlafmittel werden in Deutschland massenhaft verabreicht. Ärzte verordnen jährlich mindestens 110 Millionen Tagesdosen Benzodiazepine, davon allein 11,4 Millionen Dosen Oxazepam, das beispielsweise unter dem Namen Adumbran verkauft wird.

Neue Forschung zeigt nun, dass die Psychopharmaka nicht nur auf den Menschen wirken. Über die Abwässer gelangen Reste der Chemikalienflut in Flüsse, Teiche und Seen und verändern das Verhalten von Fischen - mit möglicherweise weitreichenden ökologischen Folgen.

Schwedische Forscher um Tomas Brodin von der Umeå-Universität berichten jetzt im Fachblatt "Science", dass Flussbarsche, die Oxazepam ausgesetzt werden, aktiver sind, sich weniger sozial verhalten und ihre Verstecke leichtfertiger verlassen.

"Normalerweise sind Flussbarsche scheu und jagen in Gruppen; dies ist eine bekannte Überlebensstrategie", sagte Brodin auf der diesjährigen Forschungskonferenz der American Association for the Advancement of Science in Boston, Massachusetts. "Wenn sie jedoch in Wasser schwimmen, das Oxazepam enthält, sind sie wesentlich wagemutiger." Die Ergebnisse ließen sich vermutlich verallgemeinern, berichten die Forscher: "Wir glauben, dass diese Substanzen Effekte auf alle Fischarten haben", sagte Brodin.

Medikament lässt Fische schneller fressen

Zusammen mit Kollegen setzte Brodin Flussbarsche ähnlich hohen Oxazapam-Dosen aus, wie sie sich auch in der Umwelt messen lassen. Die Ergebnisse zeigen, dass selbst geringe Konzentrationen der Beruhigungsmittel nicht nur Menschen, sondern auch Fische gelassener machen. Coole Fische jedoch werden weit schneller gefressen.

Die Forscher beobachteten zudem, dass die Flussbarsche im mit dem Medikament versetzten Wasser schneller fraßen. "Sie ernähren sich effizienter - ein positiver Effekt für die Fische", kommentiert Brodin. Gleichzeitig befürchtet der Forscher "gravierende" Folgen für aquatische Ökosysteme. Die Artenzusammensetzung in den Gewässern könne sich verändern.

Flussbarsche ernähren sich vorwiegend von sogenanntem Zooplankton. Die winzigen Tiere sind ein wichtiger Teil des Gewässer-Ökosystems und halten beispielsweise das Algenwachstum in Schach. Außergewöhnlich gefräßige Barsche könnten das Zooplankton jedoch im Rekordtempo vertilgen, befürchten die Forscher. Dadurch könne es vermehrt zu Algenblüten kommen.

Oxazepam ist nicht das einzige Psychopharmaka, dessen Rückstände sich in Gewässern nachweisen lassen. Weltweit schwappt ein umfassender Medikamentencocktail in Seen, Tümpeln und Teichen. Weil die meisten Kläranlagen die Chemikalien bislang nicht aus den Abwässern filtern können, reichern sie sich in den Gewässern an.

Diclofenac im Wasser

In Deutschland allein geraten jeden Tag mehrere Tonnen an Arzneimittelwirkstoffen in die Natur, warnt das Umweltbundesamt. Rückstände von über 150 Medikamenten sind bereits in der Umwelt nachgewiesen worden. Einer dieser Wirkstoffe ist beispielsweise das weitverbreitete Schmerzmittel Diclofenac, das Nierenschäden bei Fischen hervorrufen kann.

"Wenn wir Medikamente einnehmen, verschwinden sie nicht einfach; wir scheiden sie über den Urin wieder aus", erläutert Jerker Fick, einer der Autoren der schwedischen Studie. Tonnenweise werden die Wirkstoffe zudem gar nicht erst eingenommen, sondern direkt über Spüle oder Toilette entsorgt. Selbst das Trinkwasser könne geringe Konzentrationen davon enthalten, berichtet das Umweltbundesamt. Dies stelle jedoch "keine Gesundheitsgefahr" dar.

Wie sich die Substanzen auf die Umwelt auswirken, wird derzeit nicht systematisch untersucht. Umweltbundesamt-Präsident Jochen Flasbarth empfiehlt daher, "ein Umweltmonitoring für Arzneimittel" einzuführen. Eine entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung solle "im Zulassungsprozess für Medikamente verankert werden".